Das Falsche Dilemma
- jrutzenhoefer
- 9. Feb.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Feb.

Entweder - Oder! Oder nicht?
»Ohne eine starke Wirtschaft ist alles nichts«, ein Satz aus dem Wahlprogramm der CDU im Februar 2025. Oder anders ausgedrückt: Entweder wir stärken die Wirtschaft, z.B. indem wir die CDU wählen, oder wir landen alle im Nichts. Alles wird zusammenbrechen, wir gehen unter, überall nur noch Chaos.
»Jawoll, genau so ist das!«, sagen Sie jetzt. Das würden Sie glatt so unterschreiben, nicht wahr? Die Wirtschaft ist nunmal das Allerwichtigste, das weiß doch jeder. Und der Slogan zeigt, dass die werbende Partei sich damit hervorragend auskennt.
Tja, Sie sind reingefallen! Aber machen Sie sich nichts draus, das geht wahrscheinlich den meisten so. Nur die ganz misstrauischen Leserinnen und Leser merken, dass hier jemand versucht sie zu beeinflussen mit einem der fiesesten und mächtigsten Tricks aus der Giftküche der manipulativen Rhetorik: dem falschen Dilemma.
Was ist ein falsches Dilemma?
Ein Dilemma an sich ist nichts Schlechtes. Es ist eine einfache Entscheidungsaufgabe, in der Sie eine von zwei Möglichkeiten wählen müssen. Eine dritte Option gibt es nicht, auch keine Wahl zu treffen gilt nicht.
Dilemmata (Sie dürfen auch Dilemmas sagen) sind häufig künstlich. Wir wissen aus dem täglichen Leben, dass es praktisch nie Situationen gibt, in denen man nur zwei Möglichkeiten hat. Es gibt immer eine dritte oder eine vierte Möglichkeit, und oft ist die beste Lösung nicht sofort erkennbar.
Solche konstruierten Dilemmata treten oft in den Geisteswissenschaften auf, z.B. um ethische oder moralische Grundsatzfragen zu diskutieren. Auch in der Literatur findet man sehr oft das klassische Dilemma: Soll die Heldin sich für die anderen opfern oder soll sie die anderen für ihren eigenen Vorteil aufgeben?
Ein Dilemma wird zum falschen Dilemma, wenn es in Wahrheit gar nicht existiert, wenn Ihnen jemand einreden will, sie hätten nur zwei Möglichkeiten während sie in Wirklichkeit viele haben. Oder wenn die angebotenen Optionen unzutreffend sind.
Wenn wir ein falsches Dilemma verwenden, verzerren wir die Diskussion und lenken vom eigentlichen Problem ab. Wir blenden echte Lösungen aus und konstruieren falsche zu unserem Vorteil. Das kann sehr nützlich sein, um komplexe Themen in unserem Sinne zu vereinfachen und um den Zuhörern einfache Lösungen zu verkaufen. »Grenzen dicht oder noch mehr Messermorde?« - Na, wofür entscheiden Sie sich?
Wie Sie Gegner austricksen können …
Wie können Sie als skrupelloser Redner sich ein falsches Dilemma zunutze machen? Wenn Sie in einer Diskussionsrunde in die Enge getrieben werden oder wenn Sie gar eine Lösung eines Problems verhindern wollen, kann das Falsche Dilemma ein sehr nützliches Mittel sein.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Lobbyist eines Brauereikonzerns und sitzen in einer Diskussionsrunde, in der die Gefahren des Alkohols Thema sind. Ihr Gegner fängt gerade an, über die Kosten des Alkoholkonsums für die Allgemeinheit zu sprechen: Krankenkassenbeiträge, Verkehrsunfälle, Kriminalität, Arbeitsausfall, Rentenversicherung.
Alarmstufe Rot für Sie, Sie fühlen förmlich, wie der Blutdruck Ihres Auftraggebers steigt. Hier könnte gleich eine Steuererhöhung oder ein Werbeverbot vorgeschlagen werden. Zeit für einen fiesen Trick, sie wählen ein falsches Dilemma:
Ihr Gegner: »Wir müssen die Kosten des Alkoholkonsums für die Gesamtgesellschaft betrachten und uns über die Finanzierung Gedanken machen.«
Sie: »Die wichtige Frage ist doch: Wollen wir wirklich durch immer noch mehr staatliche Verbote das Privatleben der Menschen beschneiden oder lassen wir den Menschen die Freiheit, für sich selbst die richtigen Entscheidungen zu treffen?«
Staatliche Verbote gegen Freiheit. Wenn Sie jetzt etwas Glück haben, reagiert jemand in Ihrer Runde reflexhaft auf das Reizwort »Verbot«, und Ihr Problem ist gelöst. Der sachliche Teil der Diskussion ist beendet.
Ihnen mag aufgefallen sein, dass das Dilemma Verbote gegen Freiheit mit den Kosten des Alkoholkonsums eigentlich gar nicht viel zu tun hat. Genau darum geht’s: Sie haben eine sachliche Diskussion über ein konkretes Thema durch eine undifferenzierte, emotional aufgeladene Fragestellung ersetzt, Ihre Gegner abgelenkt und den weiteren Gedankengang vernebelt. Genau das wollten Sie. Wir reden jetzt über Verbotspolitik statt über Alkohol. Ihre Auftraggeber können sich zufrieden zurücklehnen.
… und wie Sie sich verteidigen
Wechseln wir die Perspektive. Wie kann man in einer Diskussion auf ein falsches Dilemma reagieren?
Regel Nr.1: Gehen Sie niemals, unter gar keinen Umständen, nie, nie, nie auf die angebotenen Optionen ein. Wenn Sie das tun, hat Ihr Gegner Sie in der Zange. Sie können nur verlieren. Lassen Sie sich nicht provozieren, das ist genau der Zweck dieser Attacke.
Regel Nr. 2: Entlarven Sie niemals direkt das falsche Dilemma. Das kostet Sie Sympathien und Sie helfen damit Ihrem Gegner, sein Ziel zu erreichen. Während Ihr Gegner die Dinge auf den Punkt bringt, fällt Ihnen nichts weiter ein als oberlehrerhafte Krittelei. Und außerdem : Sie würden einen Vorteil verschenken.
Ein kluger Diskutant nutzt ein falsches Dilemma, um elegant ein eigenes falsches Dilemma als Konter zu setzen. Gehen wir nochmal zurück zum eingangs genannten Beispiel. Wir befinden uns in einer Diskussion zwischen einem eher konservativ angehauchten Politiker und einer etwas progressiveren Denkerin:
A: »Ohne eine starke Wirtschaft ist alles nichts. Wir müssen die Industrie fördern und technologieoffen bleiben, den Klimaschutz zurückfahren, Steuern senken,Lohnsteigerungen verhindern, Kernkraftwerke bauen, Verbrennungsmotoren erhalten etc.«
B: »Ich verstehe Ihre Sorge, und ich kann Ihren Ansatz nachvollziehen. Aber die wirklich wichtige Frage ist doch: Wollen wir weiter eine veraltete, fossile und auf Raubbau basierende Industrie fördern und als Industrienation langsam bedeutungslos werden? Oder wollen wir vielmehr unseren globalen Wettbewerbern folgen, neue Chancen nutzen und durch Bildung, Digitalisierung und nachhaltiges Wirtschaften die Zukunft unserer Kinder sichern?«
Bäm! Ein neues falsches Dilemma, aber diesmal Ihres und noch dazu eines, an dem Ihr Gegner zu knabbern haben wird. Wer will schon gegen die Zukunft unserer Kinder handeln? Applaus im Publikum, Punkt für Sie.
Fazit
Ein falsches Dilemma ist auf zwei Ebenen unfair. Erstens, gibt es in der Realität praktisch keine Situation, in der es nur zwei Lösungsmöglichkeiten gibt. Durch das Aufstellen eines Dilemmas wird eine konstruktive Diskussion unweigerlich zerstört, es geht jetzt nur noch darum, den Gegner zu diskreditieren indem man ihn mit der negativen Option in Verbindung bringt.
Die zweite Ebene der Unfairness ist die Auswahl der Optionen: Oft sind beide angebotenen Optionen mehr oder weniger sinnlos. Der Inhalt spielt dabei keine Rolle; entscheidend sind die Emotionen, die sie hervorrufen: Phrasen wie »Starke Wirtschaft« oder »alles ist nichts« sind im Grunde hohl, aber lange eingeübt und zuverlässig mit starken Emotionen verknüpft.
Schulen Sie Ihre Sinne. Wann immer Ihnen in einer Diskussion oder in einer politischen Auseinandersetzung ein entweder-oder vorgesetzt wird, sei es offen oder verdeckt, versucht man Sie hinter’s Licht zu führen. Aber wenn Sie selbst jemandem eine Falle stellen wollen, ist das falsche Dilemma eine sehr scharfe Waffe, mit der sie nicht nur einzelne Personen sondern ganze Staaten manipulieren können. Seltsamerweise fallen Menschen nur allzu bereitwillig auf scheinbar einfache Lösungen herein. Das können Sie sich zu Nutze machen.
Sie haben die Wahl: Nehmen Sie die blaue Pille und bleiben Sie bei den einfachen Lösungen, oder nehmen Sie die rote Pille und stellen sich der Vielfalt der Möglichkeiten und Gefahren.